zurück zur Übersicht

Synodalerklärung zum Verhältnis von Christen und Juden der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 4. 11. 1999

Die Landessynode dankt allen Presbyterien, Arbeitskreisen, Kreissynoden und Einrichtungen in der Evangelischen Kirche von Westfalen für ihre Stellungnahmen zur Hauptvorlage. Sie machen deutlich, dass in unserer Kirche eine Bewegung im Gange ist, die auf eine Erneuerung des Verhältnisses von Christen zu Juden zielt. Der Beitrag der Hauptvorlage zu dieser Erneuerung ist begrüßt worden.

Um das weitere Gespräch zu fördern und auf besonders wichtige Punkte zu lenken, gibt die Synode diese Erklärung ab. Sie tut dies nach intensiver Beratung im Tagungsausschuss. Die vier Teile der Erklärung sind unterschiedlich gehalten, gehen aber alle von dem Leitsatz zum Verhältnis von Christen und Juden aus: Gott hält Treue ewiglich. Wenn die Erklärung von "Israel" spricht, versteht sie diesen Begriff als "Volk Gottes", wie er von Anfang an biblisch bezeugt und somit grundlegend ist für das Selbstverständnis des Judentums. Es ist also nicht der Staat Israel gemeint und keine Stellungnahme zu den politischen Konflikten des Nahen Ostens beabsichtigt. Die ökumenische Verbundenheit mit den Kirchen des Nahen Ostens fordert uns heraus, die berechtigten Anliegen von Israelis und Palästinensern auch künftig im Blick zu behalten.

Für die Kirche hängt alles daran, dass Gott Israel seine Treue bewahrt. Weil sich das so verhält, ist das Thema "Christen und Juden" eine bleibende Herausforderung und von grundlegender Bedeutung für das Selbstverständnis unserer Kirche.

Theologische Vergewisserung

Gott ist treu. Sein Handeln zielt auf die Bewahrung und Erlösung der ganzen Schöpfung. Um dieses Zieles willen hat Gott Israel erwählt und in seiner Geschichte mit ihm seinen Bund immer wieder bestätigt und erneuert. Die Kirche ist in Jesus Christus in Gottes Bund mit hineingenommen. Damit ist die Geschichte Gottes mit Israel nicht beendet. Israel und die Kirche sind in ihrer Verschiedenheit Volk Gottes. Trotz aller menschlichen Untreue hält Gott in Treue an seinem Bund fest. Das bekennt die Kirche, wenn sie die Rechtfertigung des Sünders aus Gnade verkündigt. Weil Gottes Treue Grundlage unseres Glaubens ist, muss die bleibende Erwählung Israels von der Kirche öffentlich bekannt werden.

Unsere Teilhabe an der Schuldgeschichte

Das Verhältnis der Christen zu den Juden ist mit einer langen Geschichte der Schuld auf Seiten der Christen beladen. Auf die polemische Gestalt einzelner neutestamentlicher Texte haben spätere antijudaistische Auslegungen zurückgegriffen. In dieser Geschichte hat sich der christliche Antijudaismus verhärtet und so auch dem modernen Antisemitismus Vorschub geleistet. Diese verhängnisvolle Judenfeindschaft führte zur Vernichtung des europäischen Judentums in der Schoah. Daran zu erinnern ist eine bleibende Aufgabe von Theologie und Kirche. Ihr Selbstverständnis muss sich daran orientieren.

Bei der Aufarbeitung der Schuldgeschichte ist die westfälische Kirche nach 1945 nicht deutlich und konsequent gewesen. Zu Unrecht wurde die positive Seite des Erbes der Bekennenden Kirche für die gesamte westfälische Kirche in Anspruch genommen. Mit der Erklärung der Schuld gegenüber den Juden in der Kundgebung der westfälischen Provinzialsynode von 1946 wurde ein Anfang gemacht, jedoch sind Konsequenzen bis in die 80er Jahre ausgeblieben. Erst jetzt werden christlich-jüdische Lebensgeschichten wie die von Hans Ehrenberg einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Wir bitten die Menschen in unseren Gemeinden, sich ihren Erinnerungen zu stellen, das Gespräch zwischen den Generationen zu suchen und die Last der Geschichte anzunehmen.

In unserer Gesellschaft und Kirche erkennen wir den Wunsch, die Schuldgeschichte als abgeschlossen zu betrachten oder sogar zu bestreiten. Antisemitische Äußerungen finden in der Öffentlichkeit wieder Resonanz. Rechtsradikale Einstellungen entladen sich in Gewalt. Dem stellen wir uns entschieden entgegen und suchen die Zusammenarbeit mit allen Menschen in Westfalen, die dieses Anliegen mit uns teilen.

Wir sind dankbar, dass trotz unserer Schuldgeschichte jüdische Menschen wieder bei uns leben, das Gespräch mit uns führen und an den Orten ihrer Gemeinden mit uns zusammenarbeiten. Sie helfen uns, das Verhältnis der Christen zu den Juden neu zu verstehen. Sie mahnen uns, für die Wahrung von Menschenwürde und Menschenrechten einzutreten.

Füreinander Zeugen Gottes

Christen glauben durch das Wirken des Heiligen Geistes an Jesus von Nazareth als den von Gott gesandten Messias. Dieser Glaube führt in die Nachfolge Jesu Christi und äußert sich als werbendes Zeugnis vor der Welt in Liebe.

Juden und Christen bezeugen je für sich und füreinander die Treue Gottes, von der sie beide leben. Deshalb achten Christinnen und Christen jüdische Menschen als Schwestern und Brüder im Glauben an den Einen Gott. Der offene Dialog über Gottes Gnade und Wahrheit gehört zum Wesensmerkmal der Begegnung von Christen mit Juden.

Diese Einsichten lassen nicht zu, dass Christen Juden auf den christlichen Glauben verpflichten wollen. Deshalb distanziert sich die Landessynode der EKvW von jeglicher Judenmission. Nicht Mission an Israel, sondern das Gespräch mit Israel ist Christinnen und Christen geboten. Mit Israel verbindet die Kirche ein Buch und eine Hoffnung (Martin Buber). Mit den Verheißungen dieses Buches warten Israel und die Christenheit beide auf das Kommen des Reiches Gottes in Frieden und Gerechtigkeit. Folgerungen für unsere Kirche

Um die einzigartige Beziehung der Christen zu den Juden als verbindlich für die Kirche festzuhalten, bedarf es einer entsprechenden Aussage in der Kirchenordnung. Die Landessynode beauftragt die Kirchenleitung, ein Verfahren zur Ergänzung der Kirchenordnung vorzubereiten. In die Grundartikel, ersatzweise in die einleitenden Bestimmungen, soll ein Abschnitt eingefügt werden, in dem die Treue Gottes zu seinem Volk Israel und die bleibende Verbundenheit der Kirche mit Israel zum Ausdruck gebracht wird. Der Landessynode ist bei ihrer nächsten Tagung entsprechend zu berichten, damit sie das Verfahren zur Ergänzung der Kirchenordnung einleiten kann.

Die Landessynode bittet alle Kirchengemeinden, Kirchenkreise und Einrichtungen, die Arbeit am Thema der Hauptvorlage in all ihren Handlungsfeldern weiterzuführen. Die bisher gewonnenen Einsichten sind zu vertiefen und in ihren Folgen für das kirchliche Leben weiter zu bedenken. Dass es sich bei dem Verhältnis von Christen zu Juden um ein zentrales Thema unseres Glaubens handelt, muss noch stärker als bisher bewusst und ins Gespräch gebracht werden.

Bielefeld-Bethel, den 04. November 1999